Ich muss leider mal wieder ein wenig politisch werden und versuche – wie sonst bei solchen Kommentaren – ein wenig kürzer zu erwähnen, was in meinen Augen aktuell falsch läuft. Es geht um die Debatte von Tripwire Interactive und dessen CEO John Gibson. Dieser hat mit einem Tweet sehr stark polarisiert und ist nun schließlich von seinem Entwicklerstudio entlassen worden. In erster Linie tut es mir sehr leid für die Fans vom Studio, die nun vielleicht sorge, haben müssen, dass ein Spiel nicht mehr die gleichen qualitativen Standards mitbringt. Es ist natürlich äußerst fraglich inwieweit eine Person ein gesamtes Studio aufrechterhalten kann, jedoch denke ich, dass er die Rolle als CEO sehr gut ausgeübt hat und das Unternehmen damit bereichert hat. Es ist immer ein Risiko, eine Schlüsselperson auszutauschen, weil dann alte Erfolge nicht mehr erreicht werden können bzw. massive Fehlentscheidungen getroffen werden können.
A statement regarding recent events.
Tripwire Official Site: https://t.co/Vgyx0jMLBb pic.twitter.com/rmKp105EIg
— Tripwire Interactive (@TripwireInt) September 7, 2021
Das erste Problem, was ich habe, ist, dass die Menschen generell nicht mehr die Kunst vom Künstler trennen und diese Attitüde ist in meinen Augen das größte Maß an Heuchelei. Die Harry Potter Autorin J.K. Rowling hat es am eigenen Leib erfahren, wie auch zahlreiche Künstler wie R. Kelly oder Michael Jackson. Nur weil sie sich – in den Augen der Öffentlichkeit – transphobisch bzw. ebenso als Pro-Life-Befürworterin ausgesprochen hat, hat sie massive Drohungen und Beleidigungen erhalten. Ebenso geht es um die Straftaten der anderen beiden Künstler, die oftmals nicht zu 100 Prozent beweisbar sind. Man hört über Jahre hinweg Musik von einem Künstler und ist ein wahrer Fan. Ist seine Musik dadurch schlechter als vorher, nur weil er ein Verbrechen begangen hat? Würde man danach gehen, dann gibt es in der Welt sicherlich noch viel mehr Künstler, die man boykottieren muss. Ed Sheeran zum Beispiel ist bereits durch homophobe Äußerungen aufgefallen. Trotzdem wurde da weitaus weniger Trubel drum gemacht. Deutsche Philosophen, griechische Dichter und große Namen wie Karl Marx haben Äußerungen in ihren Werken getätigt, die heute sicherlich nicht mehr in die Meinung der Mainstream-Bubble passen. Sind die Werke dadurch schlechter? Ich finde Karl Marx seine Theorien bezüglich des Kapitals und Arbeit komplett an den Haaren herbeigezogen und Lückenhaft, trotzdem muss man ihn und seine Werke – selbst als Sozialismuskritiker – anerkennen.
Um es mal platt auf den Punkt zu bringen. Kein Mensch ist fehlerfrei und demnach ist es unmöglich einen Künstler und sein Kunstwerk zu boykottieren, nur weil er eine schmutzige Weste hat. Wenn ein Mensch nach diesem Schema handelt, ist er kaum in der Lage noch irgendwas zu unterstützten. Jede Firma, jeder Künstler und jeder Mensch hat etwas, was ihn in der allgemeinen Wahrnehmung sicherlich moralisch unvertretbar macht.
Es bringt aber nichts sich weiterhin aufzuregen. Selbst wenn ich morgen einen Schreibfehler auf Seite 81 entdecken würde, mir ein neues Kapitel nicht gefällt oder von mir aus auch einfach, weil ich verstanden habe, dass Harry Potter eigentlich doch mega overrated ist – ich habe das Recht dazu, diese Autorin dann nicht mehr zu unterstützen. Und ebenso ist es das gute Recht aller Menschen, ein Produkt oder ein Werk nicht mehr zu unterstützen, wenn sie es nicht mehr möchten.
Aber weiterhin Adidas Klamotten zu kaufen, VW-Marken zu fahren oder Victoria Secret zu konsumieren ist natürlich weiterhin legitim. Genauso wenig ist es ein Problem, dass man weiterhin Wörter benutzt, die in der Vergangenheit als Menschenverachtung benutzt wurden zu verwenden oder noch besser: Man bezieht Computer-Teile aus asiatischen Fabriken, in welchem sich Mitarbeiter von Dach stürzen oder ebenso Material verarbeitet wird, an welchem das Blut von Kindern klebt. Aber einen Menschen zu canceln, weil er sich zu einem Gesetz äußert, was demokratisch entschieden wurde, das ist natürlich nicht erlaubt.
Kommen diese Gutmenschen in einer solchen Situation nicht ein wenig in die Bredouille? Ich meine J.K. Rowling ist der Innenbegriff einer Frau, die es geschafft hat etwas auf die Beine zu stellen. Sie ist die Vorzeigefeministin – zumindest so wie ich und die Welt Feminismus verstehen sollte. Sie hat bewiesen, dass man selbst aus den ärmsten Verhältnissen und nach etlichen Niederschlägen trotzdem glänzen kann. Dass ausgerechnet eine Frau ihrer Klasse und ihres Einflusses Opfer der Cancelculture wird, weil sie Dinge sagt, die nicht in das Konzept der Mainstream-Community passen? Vielleicht wurden sich aber auch einfach nur Gründe gesucht, eine Frau an den Pranger zu stellen, weil sie hingegen aller angeblich schlechten Ausgangssituationen, in welcher sich Frauen befinden, trotzdem geschafft hat, Meisterwerke zu schaffen. Dass es Frauen eben doch schaffen können, ohne immer Anforderungen zu stellen oder fordern, dass man ihnen alles bezahlt oder sie in Ämter – nicht aufgrund ihrer Qualifikation, sondern ihres Geschlechtes beruft – hat sie bewiesen und die Wahrheit passt dieser Community eben nicht in das eigene konstruierte Weltbild.
Doch ist es cool, wenn Menschen dadurch ihren Job verlieren oder öffentlich ein derartiges Backfire erleben? Der CEO hat schlichtweg etwas gesagt, was nicht strafbar ist und demnach nicht verfassungswidrige Aussagen getroffen. Dafür wird er aber mundtot gemacht. Dabei hat er Mut bewiesen, weil er als klare Minderheit eine Meinung äußert. Es ist nämlich nicht mutig, eine Meinung zu verkünden, die die breite Masse teilt, sondern eine Meinung zu äußern, die kein Backup der Medienlandschaft oder dem politischen Mainstream erfährt.
Zunächst hat das texanische Gesetz Schwangerschaftsabbrüche verboten, welche nach dem sechsten Monat erfolgen. Nach dem sechsten Monat – das belegen wissenschaftliche Fakten – und auf diese muss man sich ja laut den Gutmenschen verlassen, hat das Baby bereits einen eigenen Herzschlag, speichert Erinnerungen ab und ist bereits dort – im Falle einer Frühgeburt – mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit lebensfähig. Ich finde, dass eine Abtreibung dann mit Mord gleichzusetzen ist. Außerdem finde ich es auch sehr fraglich, sich erst dann für eine Abtreibung zu entscheiden. Ist das nicht deutlich früher möglich, wenn das Kind wirklich noch in einem Status ist, wo man es eventuell als nicht lebendes Wesen einstufen kann?
Proud of #USSupremeCourt affirming the Texas law banning abortion for babies with a heartbeat. As an entertainer I don’t get political often. Yet with so many vocal peers on the other side of this issue, I felt it was important to go on the record as a pro-life game developer.
— John Gibson (@RammJaeger) September 4, 2021
Ich lasse mir sogar gefallen, dass das Argument beim Impfen nicht greift, weil man – wenn man nicht selbst geimpft ist – andere Leute anstecken kann und somit das Leben anderer gefährdet. Eine typische liberale Floskel ist: “Jeder kann tun und machen, was er möchte, solange er keinen anderen gefährdet”. Davon mal abgesehen, dass das nicht so einfach ist, wie es sich spricht, finde ich es trotzdem legitim, dass man aufgrund dieser Argumentation für eine Impfpflicht spricht bzw. jeden ungeimpften als fahrlässigen Mörder hinstellen kann. Wenn er sich ansteckt und trotzdem weiterhin draußen unterwegs ist, kann er andere, unschuldige anstecken.
Doch warum ist es dann in Ordnung, wenn man sich selbst zu einem Schwangerschaftsabbruch entscheidet? Da tote Menschen keine Stimme haben, scheint das Abtreiben eines werdenden Babys in Ordnung zu gehen. Das Baby hat laut den Anhängerinnen und Anhängern keine Rechte, weil es ja scheinbar noch kein Leben ist.
Natürlich darf man protestieren und das Geile am Kapitalismus ist, dass er im Endeffekt die beste Form der Demokratie ist, die man haben kann. Während bei einer Demokratie wie wir sie kennen, Wahlen manipuliert werden können oder durch Medien Propaganda gemacht werden kann, hat der Kapitalismus dieses Problem nicht. Zwar muss man auch sagen, dass der Markt oftmals irrational ist und es einfach eine Vielzahl von dummen Konsumenten gibt, glaube ich trotzdem, dass der freie Markt die beste Form der Demokratie ist. Jeder entscheidet mit seinem Kauf, ob ein Produkt einer Firma Existenz berechtigt ist oder nicht. Ist das Produkt oder die moralischen Werte – die jeder für sich selbst festlegen sollte – nicht mehr für sich selbst tragbar, kauft man das Produkt nicht. Wenn eine große Masse das gleich sieht, kann das Unternehmen nicht mehr existieren, muss sich verbessern oder geht pleite. Man selbst hat damit kein Risiko und es wurde kein eigenes Geld dafür investiert. Klar kann man sagen, dass im Kapitalismus eine gewisse Menge Geld mehr Stimmrecht hat, als eine weniger große Menge Geld, trotzdem sind es die breite Masse an Konsumenten, die darüber entscheiden, ob ein Produkt sich durchsetzen kann. Wenn also die Mehrheit der Menschen plötzlich sagt, dass sie Spiele von Tripwire nicht mehr unterstützen möchten, dann kann das dafür sorgen, dass sie sich ändern müssen.
Das beste Beispiel ist wohl EA. Das Unternehmen hat noch immer das Image, dass sie die besten Spiele kaufen und diese dann schlecht weiterentwickeln und schließlich einstampfen. Trotzdem kann das Unternehmen, obwohl es mehrmals zum schlechtesten Unternehmen des Jahres gewählt wurde und obwohl es überall verhasst ist, weiterhin diese Masche abziehen. Weil die Menschen nicht solidarisch genug waren, auf die Produkte zu verzichten bzw. weil sie es vielleicht gar nicht wollten. Sie haben vermutlich die Bugs selbst nicht gut gefunden, trotzdem konnten sie sich damit abfinden und das Produkt war letztlich besser, als die Bugs und der Frust, den das Spiel ausgelöst hat.
Aber jemanden zu canceln, dafür zu sorgen, dass er sein Job verliert, ist nicht nur heuchlerisch, sondern auch eine Selbstlüge. Man liebt die Spiele, verbringt mit ihnen Jahre und hat sie genossen, aber hört plötzlich auf diese zu lieben, nur weil jemand eine Meinung teilt, die man selbst nicht vertreten kann? Selbst Steuerhinterzieher, die die Allgemeinheit betrügen, haben es nicht so schwer und werden gar nicht gecancelt.
Wer zum Beispiel weiterhin den FC Bayern unterstützt, ist in meinen Augen ein deutlich größeres Übel für unsere Gesellschaft. Zwar habe ich niemals einen Cent direkt an den FC Bayern selbst gezahlt, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass meine GEZ-Gebühren und die daraus resultierenden Fernsehgelder auf die Konten der Bayern-Bosse fließen. Ich finde für das was der Tripwire Interactive CEO gesagt hat, sind die Auswirkungen viel zu groß.