Durch X bin ich auf eine bemerkenswerte, zugleich aber auch traurige Geschichte gestoßen, die es meiner Meinung nach wert ist, erzählt zu werden. Es geht um Mats Steen, alias Ibelin, aus Norwegen.
Obwohl der Fall und die Geschichte bereits in den größten Medien erwähnt wurden, hatte ich persönlich bisher noch nichts davon gehört – und das, obwohl ich selbst tief in der Gaming-Branche verwurzelt bin.
Ich vermute, dass es vielen ähnlich geht. Genau deshalb möchte ich unbedingt über diesen Fall berichten.
Bereits im frühen Kindesalter wurde bei ihm Duchenne-Muskeldystrophie diagnostiziert – eine heimtückische Krankheit, die dazu führt, dass die Muskulatur fortschreitend schwächer wird. Mats war deshalb auf einen Rollstuhl angewiesen.
Die Ärzte gaben ihm wenig Hoffnung auf ein langes Leben. Mobilität, Freiheit, Unabhängigkeit – all das blieb ihm im physischen Leben weitgehend verwehrt.
Doch wo der Körper Grenzen setzt, kann der Geist neue Welten erobern. Und genau das tat Mats – mit Maus, Tastatur und einem Charakter namens Ibelin in der Welt von World of Warcraft.
“The Remarkable Life of Ibelin” is a 2024 Norwegian documentary directed by Benjamin Ree. It chronicles the life of Mats Steen, a Norwegian gamer who passed away at the age of 25 due to Duchenne muscular dystrophy. Despite his physical limitations, Mats led a vibrant and… pic.twitter.com/IwMOfYwTTr
— Global Statistics (@Globalstats11) March 31, 2025
Die Geschichte von Ibelin Redmoore
Für Mats war World of Warcraft nicht einfach nur ein Spiel – es war sein Zugang zur Welt. Sein Körper konnte nicht kämpfen, nicht herumlaufen, keine Abenteuer erleben oder mit anderen Menschen interagieren – aber sein digitaler Avatar konnte all das.
Ibelin wurde mehr als nur eine Spielfigur: Er wurde zu einem echten Freund, zu einem Abenteurer, einem Zuhörer, einem Anführer.
In den Jahren, in denen Mats spielte, sammelte er nicht nur Erfahrungspunkte – sondern auch echte, tiefgehende Freundschaften. Menschen aus ganz Europa und darüber hinaus kannten Ibelin.
Sie lachten mit ihm, suchten seinen Rat, sprachen mit ihm über das Leben, die Liebe und das Leid – ohne zu wissen, dass sich hinter Ibelin ein junger Mann im Rollstuhl verbarg. Und dass dieses Spiel sein einziger Weg war, wirklich frei zu sein.
Der Tod von Mats Steen
Als Mats 2014 im Alter von nur 25 Jahren verstarb, glaubte seine Familie, dass er ein einsames Leben geführt hatte. Sie kannten seine gesundheitlichen Einschränkungen, sahen ihn oft allein vor dem Bildschirm sitzen.
Zu ihrem Bedauern hatten seine Eltern ihn immer wieder gedrängt, weniger Zeit am Computer zu verbringen und stattdessen draußen im „wahren Leben“ Freunde zu finden.
Was sie nicht wussten: Ihr Sohn hatte längst eine große Gemeinschaft um sich versammelt, eine treue Freundesgruppe und eine beachtliche Anhängerschaft und sogar eine Freundin.
Nach seinem Tod veröffentlichte sein Vater einen bewegenden Blogeintrag, in dem er von Mats und seiner Geschichte erzählte – und plötzlich meldeten sich Menschen aus ganz Europa.
Clanmitglieder, Freunde, Mitspieler. Einige weinten, andere schrieben lange Briefe und E-Mails, in denen sie schilderten, wie sehr Ibelin ihr Leben bereichert hatte.
Es wurde klar: Mats war nie allein. Er interagierte einfach auf einer anderen Bühne – in einer anderen Welt. Und einige seiner engsten Freunde kamen sogar zu seiner Beerdigung, darunter eine 65-jährige Psychologin.
Dokumentation: Das bemerkenswerte Leben von Ibelin
Die Geschichte von Mats Steen wurde weltweit bekannt. Medien berichteten, Menschen reagierten tief bewegt. Aus einem „Gamer mit Behinderung“ wurde ein Symbol für digitale Inklusion, Empathie und echte Freundschaft.
Zu seinem Andenken wurde sogar ein Dokumentarfilm produziert. Seine Premiere feierte der Film am 19. Januar 2024 beim renommierten Sundance Film Festival – und wurde dort sowohl mit dem Publikumspreis als auch mit dem Regiepreis in der Kategorie World Cinema Documentary ausgezeichnet.
Die Streamingrechte sicherte sich Netflix. Seit dem 25. Oktober 2024 ist der Film dort verfügbar. Kritiker zeigten sich begeistert: Auf Rotten Tomatoes erreichte der Film eine beeindruckende Zustimmungsrate von 98 %.
Besonders hervorgehoben wurde die feinfühlige Darstellung digitaler Gemeinschaften – und der tiefen, echten Beziehungen, die im virtuellen Raum entstehen können.
An dieser Stelle: eine ganz klare Empfehlung, die ich mir auch noch selbst angucken muss!
Was wir von Ibelin lernen können
Ich finde, die Geschichte von Mats Steen zeigt eindrucksvoll, dass Menschen in Online-Welten oft deutlich toleranter agieren als im echten Leben. Kommuniziert man ausschließlich über Chat, zählt vor allem eines: der Inhalt.
Man bewertet, was gesagt und getan wird – nicht, wie jemand aussieht, spricht oder klingt. Sprachfehler, hohe oder tiefe Stimmen, körperliche Einschränkungen oder gar das Geschlecht spielen oft keine Rolle.
Man schließt Freundschaften, weil man sich versteht, weil man sich unterstützt – nicht aufgrund äußerlicher Merkmale.
Ich bezweifle stark, dass Ibelin außerhalb der virtuellen Welt eine so enge und große Freundesgruppe hätte aufbauen können. Im echten Leben wäre Mats viel häufiger mit Vorurteilen konfrontiert worden.
Doch World of Warcraft hat alle auf die gleiche Ebene gestellt.