Wer auf Twitch professionell auftreten möchte, wird sich immer wieder eingestehen müssen, dass er ohne eine Face Cam und gute Lichtverhältnisse nicht drumherum kommt. Doch mittlerweile zeichnet sich ein Trend auf den Streaming-Plattformen ab, der so ganz und gar nicht mit der allgemeinen Meinung – wie man auf Twitch oder YouTube auftreten muss – konform ist. Was bereits in Japan in den Weiten des Internets und der Popkultur verwurzelt ist, schwappt nun auch in den Westen rüber. Mit mehr als 1,5 Milliarden gestreamten Stunden pro Monat im Jahr 2020, gehören sie zu den relevantesten Content-Erstellern auf der Plattform. Kein Wunder also, dass dieses diese Art von Streaming immer bedeutender auf den sozialen Plattformen ist. Die Rede ist von Vtubing bzw. Vtubern.
Was sind Vtuber?
VTuber ist die abgekürzte Version von Virtual YouTuber, also virtuelle YouTuber, die aber längst ebenso auf Twitch ihre Heimat gefunden hat. So kann man gleichermaßen von Vtubern sprechen, wenn man diese Art von Content auf YouTube, Twitch oder einer anderen Streaming-Plattform konsumiert.
Im Grunde unterscheiden sich Vtuber in erster Linie gar nicht von anderen Streamern oder YouTubern, es ist eher die Art und Weise wie sie ihren Content streamen und veröffentlichen. Denn anstelle, dass ein Mensch aus Fleisch und Blut sich im Internet von seinem Setup zeigt, bleibt die Identität dieser Person für gewöhnlich geheim.
Stattdessen wird den Zuschauern ein 2D oder 3D-Avatar präsentiert, welcher nach Belieben des Content Creators erstellt und individualisiert ist. Frisur, Aussehen, Kleidungsstil – Man kann seinen eigenen Charakter erfinden und ihn für dich streamen lassen. Dabei sind diese Figuren nicht selten niedlichen Chibis oder Anime-Figuren nachempfunden oder bedienen sich an eben diesem Zeichenstil.
Dabei stecken hinter den süßen Avataren oftmals professionelle Voice Actors, weshalb die Stimme des Streamers bzw. der Streamerin noch mehr zur Geltung kommt. In Ländern wie Japan gibt es mittlerweile sogar ganze Teams, die diese virtuellen Avatare betreuen und so werden gar für einen Avatar mehrere Personen verwendet, um mit mehreren Sprachen ein größeres Publikum zu bedienen.
Doch ein statisches Bild des Avatars wäre vermutlich zu langweilig, weshalb mithilfe bestimmter Software und Hardware die Mimik der streamenden Person auf den Avatar übertragen. Mundbewegungen, Augenbewegungen, Bewegungen mit den Armen und sogar Gesichtszüge werden dem Avatar also dadurch ermöglicht und gestaltet den Stream bzw. das Video interaktiv.
Dabei ist es wichtig in drei verschiedene Kategorien der Vtuber zu unterscheiden. Die erste Kategorie sind jene, die ausschließlich als Avatar auftreten und hinter denen quasi eine richtige Person steht, die ganz normalen Content produziert. Dabei ist der Avatar oftmals nicht live interagierend, sondern tritt als PNG-Datei in den Videos auf oder ist mithilfe Animationseffekten interaktiver gestaltet. Er bewegt sich aber nicht in Echtzeit, mit der Gestik des Content Creators.
Die zweite Art der Vtuber sind jene, die in den sozialen Netzwerken als sich selbst auftreten und nur in ihren Streams mit ihrem Avatar auftreten. Bei diesen Personen kennt man das Aussehen und ihre „wahre Identität“ und hierbei werden die virtuellen Avatare parallel zur eigenen Online Präsenz genutzt.
Die dritte und konsequenteste von allen Methoden ist die vollständige KI-Methode, bei welcher eine AI streamt und welche von ganzen Agenturen betreut wird, aber hierbei keine Person aus Fleisch und Blut quasi dieses digitale Maskottchen verkörpert. Durch die immer bessere KI-Technologie in der heutigen Zeit werden dadurch Stimmen, Aussehen und Charakteristiken verblüffend echt dargestellt und somit interagiert man mit einer virtuellen Persönlichkeit.
Der Aufstieg der Vtuber
Das Phänomen beginnt im Jahr 2011 mit Ami Yamato, einer in England lebenden Japanerin, die Videos mit einem Avatar hochlädt, während bereits drei Jahre später eine Wetter-Show im TV einen solchen Avatar verwendet, um das Wetter zu moderieren. Die sog. Kizuna Ai wurde 2016 ins Leben gerufen und erreichte innerhalb weniger Monate zwei Millionen Abonnenten auf YouTube, weshalb dieser schlagartige Erfolg ebenso schnell große Organisationen, Netzwerke und Agenturen auf sich aufmerksam machte.
Upd8 heißt die Agentur hinter Kizuna AI, welche von einem Produktionsteam samt professioneller Synchronsprecherin (Nozomi Kasuga) gesprochen wird. Die Japan National Tourism Organization hat sie bereits als Maskottchen für ihre globale Marketingkampagne eingesetzt und auch ein eigenes Management betreut Kizina AI.
Mit Hololive und Nijisanji gingen 2018 die ersten Agenturen an den Start, die sich auf Vtuber spezialisieren und neben den bis dato üblichen 3D-Modellen vermhert auf 2D-Modelle fokussiert haben. Derweil unterhält Hololive die 20 einflussreichsten Vtuber-Kanäle und durch Abermillionen Investoren-Gelder sollen über die japanische Grenze hinaus weitere solcher Vtuber aufgebaut werden: Mit Erfolg. Der englische Ableger von Hololive hat u.a. Gawr Gura hervorgebracht, die auf YouTube über 4 Millionen Abonnenten vorweisen kann. Auch Takanashi Kiara gehört zu den größten ihrer Branche.
Mittlerweile sind auch große Firmen für das Thema zu begeistern und auch im westlichen Raum findet das Thema Anklang. Mit VShojo ging 2020 eine amerikanische Agentur an den Start und im Herbst 2021 kündigt Sony mit VERSE-n ein Vtubing-Projekt an, welches als Maskottchen für Crunchyroll herhält. Vor allem interessant ist, dass VShojo von dem Twitch-Mitbegründer Justin „TheGunrun“ Ignacio ins Leben gerufen wurde und mit Ironmouse die zum aktuellen Zeitpunkt meist abonnierte Streamerin unterhält. Auch Projekt Melody kann mit über 600.000 Abonnenten auf YouTube glänzen.
Riot Games hat die Einflussstärke solcher virtuellen Figuren erkannt und ist auch deshalb ein Vorreiter im westlichen Raum. Mit der eigenen, virtuellen Girl Pop Band K/DA locken sie Millionen Menschen an und erzielen auf YouTube Milliarden von Klicks. Bereits seit 2018 verkörpern die Charaktere aus League of Legends eine Girl Group, die von amerikanischen und südkoreanischen Sängerinnen vertont werden.
Vtubing in Deutschland
Was vor allem in Japan fast schon Normalität ist, bleibt im Westen bis dato eher eine Ausnahmeerscheinung. Zwar ist es wahr, dass immer mehr dieser Einflüsse auch auf westlichen Plattformen zu finden sind, doch bleiben sie trotz einer hohen Anzahl an Followern und Zuschauern eher eine Randerscheinung.
Die angesprochene Takanashi Kiara ist zwar der deutschen Sprache mächtig, greift aber in ihren Videos und ihrem Content ausschließlich auf Englisch oder Japanisch zurück. Denn der Markt hier im deutschsprachigen Raum ist noch zu klein, um wirklich Reichweite aufbauen zu können. Doch seit 2020, gedeiht langsam eine deutsche Community heran, die verschiedenste Charaktere hervorbringt.
Bereits seit 2010 bzw. 2012 gibt es mit Maudado (über eine Million Abonnenten) und GermanLetsPlay (über 3,6 Millionen Abonnenten) Vtuber in Deutschland, die sehr erfolgreich sind – wenn man diese denn als klassische Vtuber behandeln möchte. Wie bei den meisten Vtubern ist über sie wenig Privates bekannt und auch sie benutzen Avatare in ihren Videos, die aber nicht – wie im eigentlichen Sinne – live streamen und ihre Gestiken auf ihre Avatare übertragen. Die Art und Weise wie GermanLetsPlay auf YouTube auftritt fällt unter die sog. PNG Tuber bzw. PNG Vtuber.
Maßstäbe wie Kizuna Ai oder Konsorten bleiben im deutschsprachigen Raum nahezu unerreichbar und utopisch. Mit Selphy haben wir in Deutschland immerhin seit 2015 eine Vtuberin, die über 70.000 Abonnenten auf YouTube und über 100.000 Follower auf Twitch vorweisen kann, die darüber hinaus hauptsächlich auch deutschsprachigen Content produziert. Auch JinjaOwO ist mit ihrer Reichweite von 120.000 Abonnenten auf YouTube und rund 100.000 Followern auf Twitch zu erwähnen.
Doch die Szene bekommt mehr und mehr Struktur und so haben wir mittlerweile ganze Agenturen wie lightmotif die sich sogar komplett auf Vtubing fokussieren und ausschließlich diese Art von Content Creator unter ihre Fittiche nimmt.
Die Community der Vtuber ist aber sehr herzlich und positiv gegenüber Neulingen gestimmt und betreut Einsteiger mit Discord-Servern, Beratungen und Hilfen bei Hardware, Software und sogar dem Anfertigen des eigenen Avatares. Auch gemeinsame Streams sind keine Seltenheit. Events wie vSmile führte in der Vergangenheit die Community zusammen und brachte sie auch für Außenstehende mehr und mehr auf den Plan.
Durch die DoKomi – die sogar ein weibliches Vtuber-Maskottchen hat – gibt es obendrein sogar eine online Vtuber-Messe, die online und völlig digital ausgetragen wird. Doch selbst die klassische Präsenzmesse der Dokomi setzte auf Vtube-Inhalte. Takanashi Kiara beispielsweise gab ein Konzert vor einem Live-Publikum – Das erste Konzert einer Vtuberin vor einem Präsenzpublikum. Für alle Interessenten am Thema ist der Discord von VTality zu empfehlen. Der größte deutschsprachige VTuber Discord mit Hilfen, Tipps, Tricks und dem netten Austausch untereinander.
Die Faszination hinter Vtubeing
Vtuber erreichen – zumindest – international eine hohe Followerschaft, doch was reizt Menschen, als virtuellen Avatar aufzutreten bzw. sie zu schauen? Für viele Menschen ist es eine extrem große Hürde, sich im Internet zu zeigen, da sie, mit Vorurteilen oder Beleidigungen konfrontiert sind. Vtubing schafft hierbei Abhilfe und ermöglicht es für die Zuschauer eine gewisse Bindung zu einer „Person“ zu aufzubauen, gleichzeitig aber auch für den Streamer bzw. die Streamerin sich nicht öffentlich zeigen zu müssen. Hierbei bewerten die Zuschauer ausschließlich den Content, ohne dabei vom Aussehen beeinflusst zu werden.
Vor allem für Künstler ist diese Art Content zu streamern oder zu produzieren eine neue Möglichkeit sich zu verwirklichen. Während statische Avatare, Bilder oder Charaktere wenig Interaktion bieten, können Künstlerinnen und Künstler auf Twitch und YouTube ihre Kunst und ihre Charaktere zum Leben erwecken und sie gar selbst spielen und ihnen charakterliche Eigenschaften – wie in einem Rollenspiel – geben.
Eine weitere Motivation ist der Rollenspiel-Aspekt. Man ist nicht mehr Klaus Meier aus Berlin oder der Xte-Streamer, der Gronkh kopiert, weil er Lets Plays auf YouTube hochlädt, sondern kann ein fabelhaftes Tierwesen, eine Hexe aus dem Märchenwald oder ein Roboter aus dem Jahr 2077 spielen.
Ich selbst betreibe einen Roleplay Minecraft Server und weiß deshalb, wie viel Spaß und Freude es bringt, in eine eigene Welt einzutauchen, sich eigene Charaktere und eine Geschichte zu überlegen und diese dann auszuleben. Durch Vtubing sind – im Gegensatz zu vielen anderen Roleplay Settings – keine Grenzen durch eine vorgegebene Welt oder eine Spielleitung gesetzt.
Durch die Person hinter dem Computer bekommt die Anime-Version dieser einen authentischen Charakter und Einflüsse, die der Streamer oder die Streamerin in gewisser Weise beeinflussen kann. Hinzu entwickelt sich der Charakter weiter oder bekommt neue Details, Kleidung oder Accessoires verliehen, die durch spezielle Anlässe einen ganz neuen Flair erwecken. Vtuber vereinen also Kunst, Streaming und Roleplay und können dabei den Content den man auf Twitch oder YouTube liebt, selbst produzieren und dabei so sein wie sie selbst sein möchten.
Ein weiterer Faktor, der das Vtubing so interessant macht ist, dass die Einstiegshürde – auch wenn man es auf den ersten Blick nicht glaubt – relativ gering ist. Ein PC, welcher vor zwei Jahren noch das Maß aller Dinge war, reicht völlig aus, um seine Vtubing-Karriere zu starten. Es ist völlig ausreichend mit 100 Euro einen Avatar zu erstellen zu lassen. Die Profis legen aber natürlich viel Wert auf die etwas bessere Software, die größeren Details im Avatar und die Audioqualität. Das Auftreten als virtueller Avatar ist aber deutlich günstiger als das gewöhnliche Streaming mit Face Cam.
Jeder Rechner, der also Blockbuster-Spiele des Jahres 2019 ruckelfrei bewältigt, sollte auch für Vtubing ausreichen. Lediglich eine Webcam und die Tracking-Software sind nötig. Man sollte jedoch bedenken, dass das Übertragen und Animieren des Avatars ohne Verzögerung durchaus etwas Rechenpower kostet. Gleiches gilt auch für Aufnahmesoftware, die während der Aufnahme durchgehend rendern und speichern/übertragen muss.
Man sollte daher nicht erwarten, beim gleichzeitigen Vtuben aktuelle AAA-Titel in der gewohnten Grafikqualität spielen zu können, sofern man keinen teuren Gaming-PC sein Eigen nennt. Sonst gelten für Vtuber die gleichen Gesetze wie für normale Streamer. Ein gutes Mikrofon und eine gute Webcam für die bessere Erfassung der Mimik. Empfehlenswert ist für den Anfang auf Vroid zurückzugreifen. Hierbei ist es möglich – ohne Vorkenntnisse – eigene 2D oder 3D-Avatare zu erstellen.
Für die Zuschauer ist es möglicherweise interessanter statt mit einem „normalen“ Menschen eben mit einer Anime-Figur zu interagieren und die Fragen oder Äußerungen im Chat von dieser beantwortet zu bekommen. Vtubing kombiniert verschiedene Hobbys zu einem, in welcher Follower viel direktere und persönlicheren Kontakt zu einer Anime-Figur aufbauen, wodurch möglicherweise auch die Art und Weise, wie Menschen die beliebten Animes konsumieren, auf ein neues Level gehoben wird.
Quellen
4 Kommentare
PURE4U ist kein Streamernetzwerk, sondern eine Agentur für Management und Marketing.
Danke für den Hinweis! Habe es korrigiert!
Noch ne Kleinigkeit: Selphy hat nicht über 270.000 Abonnenten auf Youtube, auch wenn “über 70.000” ja theoretisch stimmt 🙂
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