Während branchenweite Entlassungen weiterhin Schlagzeilen machen, steht Ubisoft – das sechstgrößte Videospielunternehmen gemessen an der Mitarbeiterzahl – an einem möglichen Wendepunkt seiner Unternehmensführung. Intern herrscht eine Stimmung auf dem Tiefpunkt, und die Angestellten befürchten, dass der Publisher als nächstes eine große Umstrukturierung erleben könnte, was unweigerlich zu einem hohen Stellenabbau führen würde.
Das Gefühl der Jobunsicherheit ist in der gesamten Branche spürbar. Doch während die Führungskräfte von Ubisoft weiterhin unermüdlich Trends nachjagen was in verschwendete Ressourcen und mäßigen Verkaufserfolgen resultiert, werden sie nicht diejenigen sein die gehen müssen, sollte das Unternehmen Kosten einsparen müssen.
Seit Beginn des Jahres 2023 haben über 15.000 Mitarbeiter in der Spieleindustrie ihre Jobs verloren, allein im Januar 2024 waren es über 5600. Auch Ubisoft blieb nicht verschont, denn im November 2023 traf das Unternehmen eine Entlassungswelle von 124 Mitarbeitern. Quellen, die mit Insider Gaming unter der Bedingung der Anonymität sprachen, glauben jedoch, dass das Schlimmste noch bevorsteht und diese Zahl wahrscheinlich steigen wird.
Aber warum genau herrschen bei Ubisoft, das eine seiner besten Spiele-Pipelines seit über einem Jahrzehnt hat, derartige interne Spannungen? In den letzten Monaten hat Tom Henderson mit vielen Mitarbeitern gesprochen und gibt ein großzügigen Einblick in das Leben von Ubisoft.
Die Jagd nach Trends
In den letzten Jahren hat Ubisoft seinen Fokus von Innovation und Kreativität abgewendet und sich stattdessen auf die Jagd nach aktuellen Trends konzentriert. Dies führte dazu, dass das Unternehmen versuchte, sich auf beliebte Genres wie kostenlose Battle-Royale-Spiele zu stürzen und sich für NFTs und Web3 zu interessieren. Diese endlose Jagd resultierte in der Einstellung zahlreicher Projekte, der Verschwendung von Talenten und dem Verlust großer Geldsummen.
Zwischen Ende 2021 und Anfang 2022 hatte das Unternehmen laut Quellen etwa ein Dutzend Battle-Royale-Spiele in Entwicklung. Viele dieser Projekte konnten die Spieler in den Testphasen nicht überzeugen und wurden daraufhin eingestellt.
Ein Beispiel hierfür ist Ghost Recon: Frontline, das aufgrund mangelnder Übereinstimmung mit den Spielerinteressen auf Widerstand stieß. Ein markanter Kommentar im offiziellen Trailer lautete: „Die Community: Wir wollen einen taktischen Stealth-Shooter, der zu den Wurzeln zurückkehrt – Ubisoft: Wir haben verstanden, hier ist ein Battle-Royale-Spiel“.
Diese Stimmung spiegelte sich nicht nur in YouTube-Kommentaren wider, denn nach vier Jahren Entwicklung wurde das Spiel im Sommer 2022 aus unbekannten Gründen eingestellt. Vier weitere unangekündigte Spiele wurden ebenfalls zwischen Mitte 2022 und Januar 2023 abgesagt, darunter Splinter Cell VR und Project Q.
Battle-Royale-Spiele waren jedoch nicht die einzige Trendwelle, auf die Ubisoft aufsprang. Ende 2021 kündigte das Unternehmen Ubisoft Quartz an – einen Versuch, vom damaligen NFT-Boom zu profitieren. Die Ankündigung wurde öffentlich kritisiert, und intern fühlten sich Mitarbeiter peinlich berührt, mit einem Unternehmen in Verbindung gebracht zu werden, das eine derart realitätsferne Ankündigung machte.
Zwei Jahre später scheint Ubisoft erkannt zu haben, dass NFTs nicht die geldbringende Technologie sind, die sie zu sein glaubten. Dennoch arbeitet das Unternehmen weiterhin still an NFT/Web3-Projekten wie Champions Tactics: Grimoria Chronicles.
In der Zukunft konzentriert sich der Publisher auf Live-Service- und Extraktions-Shooter. Insider Gaming hat erfahren, dass mindestens drei große Extraktions-Shooter bei Ubisoft in Entwicklung sind. Dazu gehören The Division Heartland (Veröffentlichungsdatum noch unbekannt), Far Cry’s Project Maverick (voraussichtliche Veröffentlichung 2025) und eine neue IP, die im Zweiten Weltkrieg angesiedelt ist und voraussichtlich zwischen 2026 und 2027 erscheinen soll.
Ob all diese Spiele veröffentlicht werden, bleibt abzuwarten, aber für die an den Projekten Arbeitenden besteht die Befürchtung, dass der Zug möglicherweise abgefahren sein könnte, bis sie fertiggestellt sind.
Ständige Verzögerungen und Managementprobleme
In den letzten Jahren hat sich bei Ubisoft-Spielen ein Trend herauskristallisiert: die unvermeidliche Verspätung ihrer Veröffentlichungen. Diese Verzögerungen, die sowohl öffentlich als auch intern für Frustration sorgen, sind hauptsächlich auf unrealistische Fristen und schlechtes Management zurückzuführen.
Ein Paradebeispiel für diese ständigen Verzögerungen ist “Skull and Bones”, ein Piratenspiel, dessen Entwicklung bereits ein Jahrzehnt andauert und das bereits sechsmal öffentlich verschoben wurde. Es wird geschätzt, dass die Produktionskosten des Spiels etwa 200 Millionen Dollar betragen, ein Betrag, von dem nicht erwartet wird, dass er wieder eingespielt wird.
Die Verzögerungen sind größtenteils auf das Verhalten machthungriger Manager zurückzuführen, die ihre Karriere vorantreiben wollten. Die ständigen Änderungen in der Spielvision führten zu einer schlechten Arbeitsatmosphäre, wobei einige Entwickler verwirrt waren, was ihre täglichen Aufgaben betrifft.
„An manchen Tagen saß ich nur da und schaute YouTube-Videos“, erzählte ein ehemaliger Mitarbeiter, der an dem Projekt beteiligt war. Schließlich legte sich der Staub, und die Grundlagen für “Skull and Bones” wurden festgelegt. Interne Verzögerungen wurden zu öffentlichen, als Ubisoft Singapore mit einer Reihe unrealistischer Fristen konfrontiert wurde.
Leider ist “Skull and Bones” nicht das einzige Spiel, das dieses Schicksal erleidet. Schlechtes Management ist ein unternehmensweites Problem, von “Beyond Good and Evil 2”, das seit fast 15 Jahren in der Entwicklungshölle steckt und immer noch nicht annähernd fertiggestellt ist, bis hin zu “XDefiant”, einem Free-to-Play-Ego-Shooter, der von Ubisoft San Francisco entwickelt wird und fast monatlich interne Verzögerungen erlebt, weil in letzter Minute Entscheidungen getroffen werden, zusätzliche Funktionen einzufügen, die die aktuelle Version des Spiels beeinträchtigen.
Rückkehr ins Büro
Im September 2023 kehrten die Mitarbeiter von Ubisoft Montreal, etwa 4000 an der Zahl, nach drei Jahren Heimarbeit aufgrund der COVID-19-Pandemie wieder ins Büro zurück. Diese Entscheidung stieß sowohl bei den Mitarbeitern in Montreal als auch im gesamten Unternehmen auf starke Kritik, die jedoch ungehört blieb.
Nun, nur wenige Monate später, hat Ubisoft begonnen, Richtlinien für die Rückkehr ins Büro im gesamten Unternehmen umzusetzen, wobei grundsätzlich erwartet wird, dass die Mitarbeiter mindestens zwei Tage pro Woche im Büro verbringen.
Eine solche Vorgabe, die ab dem 2. April 2024 vollständig in Kraft treten soll, sieht vor, dass die gesamte Global Publishing-Gruppe an diesen verpflichtenden zwei Tagen ins Büro zurückkehrt. Laut der Richtlinie, die Insider Gaming unter der Bedingung der Vertraulichkeit mitgeteilt wurde, ist der Dienstag als verpflichtender „Bürotag“ festgelegt, wobei die Mitarbeiter den zweiten Tag mit ihrem direkten Vorgesetzten abstimmen können.
Ähnliche Richtlinien werden auch im gesamten Unternehmen durchgesetzt, wobei einige Mitarbeiter befürchten, dass dies erst der Anfang einer vollständigen, verpflichtenden Rückkehr ins Büro ist. Schließlich sieht das Unternehmen die zwei Bürotage pro Woche als Kompromiss an, da andere Unternehmen in der Branche eine häufigere Anwesenheit im Büro verlangen.
Das Ergebnis hat bei den Mitarbeitern für Unruhe gesorgt, da sie sich hastig um Kinderbetreuung und andere organisatorische Angelegenheiten kümmern müssen. Zudem äußern sie offensichtliche Bedenken hinsichtlich der Reisezeit und deren Zuverlässigkeit, Kosten und Dauer; Faktoren, die viele Mitarbeiter bei der Annahme ihrer Jobs nicht berücksichtigen mussten.
Blick auf die Zahlen
Leider haben die ständigen Verzögerungen und realitätsfernen Entscheidungen das Ansehen des Unternehmens bei den Spielern beeinträchtigt. Es herrscht Unmut, und einige Mitarbeiter sind der Meinung, dass sich dies nun in den Spielerzahlen widerspiegelt.
Anfang Januar veröffentlichte Ubisoft mit “Prince of Persia: The Lost Crown” eines seiner am besten bewerteten Spiele des letzten Jahrzehnts auf Metacritic. Das Spiel erreichte auf der Nintendo Switch eine Kritikerbewertung von 88 und eine Nutzerbewertung von 9,1, was viele dazu veranlasste zu glauben, dass es bereits für mehrere Spiel-des-Jahres-Auszeichnungen in Frage kommen könnte. Trotz der beeindruckenden Bewertungen hat das Spiel zum Zeitpunkt dieses Schreibens etwa 300.000 Spieler (geschätzte 15 Millionen Dollar Umsatz).
“Avatar: Frontiers of Pandora”, ein Spiel, dessen Entwicklung bei Massive im März 2017 angekündigt wurde, sollte ursprünglich zeitgleich mit “The Way of Water” erscheinen, um von dessen Erfolg zu profitieren. Nach mehreren Verzögerungen wurde das Spiel jedoch erst im Dezember 2023 mit begrenztem Marketing veröffentlicht.
Zum Zeitpunkt dieses Schreibens wurde enthüllt, dass das Spiel 1,9 Millionen Spieler angesammelt hat (geschätzte 133 Millionen Dollar Umsatz). Zum Vergleich: Die letzten beiden AAA-Spiele von Massive, “The Division” (2016) und “The Division 2” (2019), erzielten in ihren ersten Verkaufswochen jeweils etwa 330 Millionen Dollar und 264 Millionen Dollar.
“Assassin’s Creed Mirage”, das als ebenso erfolgreich wie frühere Veröffentlichungen wie “Assassin’s Creed Origins” und “Odyssey” angesehen wurde, verzeichnet derzeit 5 Millionen Spieler (geschätzte 250 Millionen Dollar Umsatz).
Nicht alles ist negativ
Trotz der Schwierigkeiten, mit denen Ubisoft weiterhin konfrontiert ist, verfügt das Unternehmen über eine der beeindruckendsten Spieleaufstellungen der letzten Zeit. Ohne weitere Verzögerungen plant Ubisoft in diesem Jahr zwei bedeutende Veröffentlichungen: Star Wars Outlaws (erste Hälfte 2024) und Assassin’s Creed Codename Red (zweite Hälfte 2024). Skull and Bones soll am 16. Februar 2024 erscheinen und wird in meinen Augen ein tolles Projekt, was Ubisoft sehr viel neuen Aufwind verpassen kann.
Für die Jahre 2025 und 2026 können wir mit einem neuen Hauptspiel der Ghost Recon-Reihe (Project Over) rechnen, das im fiktiven Naiman-Krieg spielt, sowie mit zwei neuen Far Cry-Spielen, einschließlich eines Multiplayer-Spiels (Project Maverick), und einem weiteren Hauptspiel der Far Cry-Reihe (Project Blackbird).
Außerdem sind zwei neue Assassin’s Creed-Spiele (Hexe und Invictus) sowie das bereits angekündigte Splinter Cell-Remake geplant. Darüber hinaus sind mehrere neue Assassin’s Creed-Spiele in Arbeit, darunter ein Remake von Assassin’s Creed Black Flag, das derzeit als Project Obsidian bekannt ist.
Sollte Ubisoft mit diesen bevorstehenden Spielen Erfolg haben, könnte sich die Stimmung sowohl innerhalb des Unternehmens als auch in der öffentlichen Wahrnehmung ändern. Zunächst ist jedoch eine deutliche Kursänderung erforderlich.
Die Risse werden sichtbar, und wenn sich die Dinge weiterhin so entwickeln wie bisher – von der Verunsicherung der Mitarbeiter bis hin zu kompetenten Managern, die Projekte leiten – könnte eine unvermeidliche Umstrukturierung viele betreffen.
Fazit
In erster Linie braucht Ubisoft meiner Ansicht nach eine komplette Kehrwende und sollte nicht nur viele Mitarbeiter neu strukturieren, sondern in erster Linie die Führungsetage. Das Unternehmen hat so viele tolle Titel und so starke Marken, weshalb es für mich umso unbegreiflicher ist, warum diese Spiele derart stark unter die Räder geraten. Assassin’s Creed Mirage beweist, dass es durchaus eine stabile Spielerschaft für genau diese Art von Spiel gibt.
Auch finde ich es nicht schlecht, wenn Ubisoft sich Trends anschließen möchte, aber reicht nicht ein Battle-Royale-Spiel? Warum müssen es dutzende sein? Diese Spiele kannibalisieren sich doch nur unnötigerweise selbst, weshalb ich denke, dass man gerne neue Spiele und Genres in die Ubisoft-Familie aufnehmen sollte, aber doch lieber langsamer und bedachter.
Warum hat Ubisoft kein Survival-Spiel? Ein Genre, das hoffnungslos am Boden liegt und jetzt, wo Blizzard beim Versuch das Genre wiederzubeleben, gescheitert ist, könnte doch Ubisoft genau hier ansetzen.
Ich möchte an dieser Stelle aber meine Hochachtung an Insider-Gaming.com und dem Journalisten Tom Henderson aussprechen, was er dort für einen unglaublichen Artikel verfasst hat. Das ist Qualitätsjournalismus, wie wir ihn brauchen!