Die Welt der Computerspiele zieht weltweit Millionen von Menschen in ihren Bann. Hier können Spieler:innen in postapokalyptischen Wüstenlandschaften überleben, Drachen bekämpfen und futuristische Megastädte erkunden. Doch selbst in diesen wundersamen Welten stoßen Spieler:innen manchmal auf Grenzen – nicht die des Fantastischen, sondern die der Technik und Ausführung.
Als 2012 “Cyberpunk 2077” angekündigt wurde, dauerte es nicht lange, bis das Spiel des polnischen Publishers CD Project einen riesigen Hype auslöste. Nach jahrelanger Entwicklung und zahlreichen Verschiebungen veröffentlichte CD Project Cyberpunk 2077 im Dezember 2020. Was folgte, war eine Welle der Enttäuschung und Frustration. Zahlreiche Bugs und technische Probleme machten den Anwärter auf das Spiel des Jahres nahezu unspielbar und dienen heute als wichtiges Mahnmal für die Relevanz von ausführlichen Betatests.
Hierbei handelt es sich um ein Gastbeitrag von Patryk Raba, Test Engineer und Test Team Lead bei Applause und u. a. Gründer von Polens größter Minecraft Community- und Test-Website minecraft.pl und ehemaliger QA-Mitarbeiter bei Square Enix.
Mobbing und Depression: Die dunkle Seite der Spieleentwicklung
In einer Umfrage von Sauce Labs, einer Plattform für Tests von Mobile- und Web-Anwendungen, gaben 61 % der befragten Entwickler:innen an, dass sie wegen Zeitdruck in der Vergangenheit schonmal ein unfertiges Spiel veröffentlicht haben. Ein Ärgernis für Spieler:innen, die sich auf den Titel gefreut und den vollen Preis für ihn gezahlt haben.
Dieser Frust entlädt sich häufig auf die Programmierer:innen der Spiele. Laut der Studie haben 48 % der Spieleentwickler:innen aufgrund eines Spieles, an dem sie gearbeitet haben, Erfahrungen mit Onlinemobbing machen müssen. Von diesen fühlten sich 45 % oft depressiv und gestresst, jeder Fünfte machte sich sogar Sorgen um seine körperliche Unversehrtheit. Die Spieleindustrie muss diese Warnzeichen erkennen. Denn eine Branche, in der wegen negativen Feedbacks jeder Fünfte damit liebäugelt, seinen Job an den Nagel zu hängen, kann auf Dauer nicht erfolgreich sein. Um die Entwickler:innen zu entlasten und den Spieler:innen das Ärgernis eines unfertigen Spiels zu ersparen, sind Betatests ein gern genutztes Mittel.
Mit einem 6-Punkte-Plan zur erfolgreichen Betaphase
Bevor ein Videospiel veröffentlicht wird, durchläuft es verschiedene Phasen der Entwicklung. Nachdem in der Alphaphase die gröbsten Probleme und Bugs behoben wurden, ist es an der Zeit, mit der Betaphase in das Finetuning einzusteigen. Dafür stellen die Entwickler:innen das Spiel einem externen Testpublikum zur Verfügung, dessen Aufgabe es ist, weitere Fehler zu finden und Feedback zu den Spielmechaniken zu geben.
Damit die Betaphase ihre volle Wirkung entfalten kann und Fehlschläge wie bei “Cyberpunk 2077” vermieden werden, ist eine sorgfältige Planung unerlässlich. Bevor also die ersten Spieler:innen ihre virtuelle Reise antreten, sollten folgende Voraussetzungen getroffen worden sein:
1. Heterogenes Testpublikum: Die Betaphase steht und fällt mit geeigneten Tester:innen. Dabei kann eine Zielgruppenanalyse helfen, auf deren Basis Spieler:innen kontaktiert werden.
2. Erstellung einer Liste mit den zu testenden Features: Nur wenn die Spieler:innen wissen, welche Funktionen das Spiel hat, können sie sie testen.
3. Änderungen kommunizieren: Werden Änderungen am Spiel vorgenommen, sollten diese mit den Spieler:innen kommuniziert werden.
4. Liste mit Erfolgskriterien: Noch vor Beginn der Betaphase sollte eine Liste der Erfolgskriterien erstellt werden, mit der nachvollzogen werden kann, welches Feedback relevant ist und die richtigen Daten gesammelt und ausgewertet werden.
5. Festlegung eines Zeitplans: Zu entscheiden, wann die Betaphase beendet ist, gilt als eine der schwierigsten Aufgaben. Eine generelle Antwort darauf gibt es nicht. Sinnvoll ist es, den Zeitrahmen von der Anzahl der zu testenden Funktionen abhängig zu machen.
6. Make it Easy: Es ist sinnvoll, es den Tester:innen so einfach wie möglich zu machen. Kommuniziere mit den Spieler:innen und verrate ihnen die neuesten Features, was von ihnen erwartet wird und wie sie Feedback geben können.
Mit Betatests Mehrwerte schaffen
Oft herrschen Missverständnisse, zwischen den externen Tester:innen und den Spieleentwickler:innen, wenn es um den Nutzen von Betatests geht. Für viele Gamer bietet der Zugang zu Betatests die Möglichkeit, ihre Lieblingsspiele schon vor Release zu spielen. Die Erwartungen der Entwickler:innen, die auf das Feedback der Testing-Community angewiesen sind, ist dabei den meisten fremd. Dabei spielt die Rückmeldung der Spieler:innen eine essenzielle Rolle für eine reibungslose Veröffentlichung. Wie die Umfrage von Sauce Labs ebenfalls zeigt, moniert fast jede:r zweite Entwickler:in, dass zu wenige User:innen bereit sind, Feedback zu geben.
Damit Betatests ihre volle Wirkung entfalten können, sollten die Tester:innen verschiedene Bereiche im Blick haben. Auf der technischen Seite spielt das Feedback zu Bugs, Spielabstürzen und weiterer technischer Probleme eine wichtige Rolle. So wünschen sich laut der Umfrage 71 % der Programmierer:innen in Betatests mehr Feedback zur Performance des Spiels. Der Videospielentwickler Funstage wurde beispielsweise erst durch das Feedback der Community auf Probleme beim UX-Design aufmerksam gemacht. Aber auch inhaltliche Rückmeldung ist wertvoll für die Entwickler:innen, wenn es etwa Probleme beim Balancing oder mit gewissen Spielmechaniken gibt.
Für den Publisher ist die Betaphase auch deshalb interessant, weil sie Vorhersagen für den Erfolg des Spiels liefern kann. Sind Spieler:innen Feuer und Flamme, sich für die Betaphase anzumelden oder verläuft die Anmeldephase schleppend? Eine erfolgreiche Betaphase kann sich außerdem als Marketingcoup erweisen. Begeisterte Gamer:innen teilen ihre Erfahrungen online und im Freundeskreis, so wird noch vor Release eine immer größere Gruppe auf das Spiel aufmerksam. Gleichzeitig entsteht ein Vertrauensverhältnis zwischen den Tester:innen und Entwickler:innen.
Nur zusammen ist man stark
Eine erfolgreiche Betaphase lässt sich nur bewerkstelligen, wenn Spieler:innen und Entwickler:innen an einem Strang ziehen. Das Feedback der Community stellt ein unverzichtbares Korrektiv dar, auf dessen Grundlage Änderungen vorgenommen werden können. So erhalten nicht nur die Spieler:innen ein zu Release funktionierendes Videospiel, sondern auch die Programmierer:innen können sich entspannt zurücklehnen und brauchen nicht mehr so viel Angst davor zu haben, von Hassnachrichten in den sozialen Netzwerken überrollt zu werden.