Der Release einer neuen Pokémon-Generation ist in meinen Augen eigentlich immer ein Highlight, das in mir viel Positivität hervorbringt. Auch wenn ich längst nicht mehr der größte Konsument dieser Reihe bin, hat sie natürlich immer einen Platz in meinem Herzen und wird in Form von Streams, Videos oder Nuzlocke-Challenges verfolgt.
Jedoch zeichnet sich die wertvollste Marke samt der entsprechenden Spiele in meinen Augen bereits seit vielen Jahren zunehmend negativ ab. Der Release der neunten Generation, Karmesin und Purpur, sollte der endgültige Beweis dafür sein, dass eingefleischte Fans der ersten Stunde nun das bekommen haben, was sie heraufbeschworen hatten.
In diesem Artikel möchte ich ein wenig auf die Abwärtsspirale eingehen, in der sich das gesamte Pokémon-Franchise meiner Meinung nach aktuell befindet.
Ich bin mir sehr sicher, dass nicht nur ich meine ersten Fingerabdrücke auf dem Gameboy hinterlassen habe und entsprechend mit dem Pokémon-Universum meine Laufbahn als Liebhaber von Videospielen begonnen habe. Ich selbst bin mit den ersten drei Generationen groß geworden, wobei die Saphir-Edition für den GBA das erste Spiel war, das ich selbst besessen habe.
Meine Reise begann also mit der dritten Generation – was jedoch nicht heißt, dass ich die ersten beiden Editionen nicht ebenso in vollen Zügen genossen und miterlebt habe. Vielleicht ist auch genau deshalb die Messlatte meiner Qualitätsstandards bei einem Pokémon-Spiel dermaßen hoch.
Ich komme aus einer Zeit, in der eine neue Pokémon-Generation alte Dinge beibehielt und diese immer und immer wieder toppen konnte. Allein das Update von der ersten auf die zweite Generation war möglicherweise die größte Weiterentwicklung, die es je in der Videospielindustrie gegeben hat: verschiedene Tageszeiten, Events wie der Käfersammler-Wettbewerb, der Attackenlehrer, NPCs, die einem verschiedene TMs oder Items schenken, der Tanz auf dem Mondberg, die Möglichkeit, gegen seinen Rivalen zu kämpfen – alles an unterschiedlichen Tagen.
Und als wäre das nicht genug, kam noch das Reisen in die Kanto-Region dazu, um die alten Arenaleiter erneut – diesmal mit neuen Pokémon – herauszufordern. Dann hätten wir Pokémon Smaragd, das mit der Kampfzone wohl die vielfältigste und umfangreichste After-Story implementiert hat. Hinzu kommen die Feuerrote und Blattgrüne Edition, die das Stärkelevel der ersten Generation angehoben und neue Gebiete wie die verschiedenen Eilande etabliert haben, um dort eine völlig neue Side-Story erleben zu können.
Ich möchte mich nicht zu sehr an der Nostalgie festklammern, denn jeder Pokémon-Fan, der mit der ersten, zweiten oder dritten Generation gespielt hat, weiß genau, was ich meine. Dazu möchte ich sagen, dass ich nach der dritten Generation keine weitere Edition mehr selbst gespielt habe und trotzdem weiß ich, dass die Szene die darauf folgenden Editionen wie Diamant und Perl sowie das Smaragd- bzw. Kristall-Pendant Platin als einige der besten überhaupt bezeichnet.
Auch Ultrasonne und Ultramond werden häufig hoch angepriesen. Game Freak hat es also, wie bereits erwähnt, immer wieder geschafft, das altbewährte Konzept zu übertragen und gleichzeitig neue Impulse zu setzen, die eine Edition besser machten als ihren Vorgänger.
Von Meisterwerken zu Mittelmaß: Wo ist die Magie geblieben?
Am 18. November 2022 erschien die neunte Pokémon-Generation Karmesin und Purpur , für die Nintendo-Switch-Konsole. Dieses Mal setzte Game Freak auf das Konzept der Gegensätze: Zukunft und Vergangenheit. Während Purpur den Spieler in eine futuristische Welt eintauchen lässt, versetzt Karmesin ihn in eine altertümliche, fast schon antike Umgebung.
In Fankreisen werden die beiden Spiele sogar spöttisch als Pokémon 2077 bezeichnet. Das liegt allerdings nicht daran, dass sie besonders fortschrittlich im Vergleich zu ihren geliebten Vorgängern wären – sondern daran, dass sie wie Cyberpunk 2077 heiß erwartet, letztlich aber umso enttäuschender waren.
Massive FPS-Einbrüche, schäbige Grafik, lieblose Landschaften und Bugs von oben bis unten – und nein, das liegt nicht an den Käfer-Pokémon im Spiel! Ursprünglich hatte ich geplant, hier eine lange Liste der lustigsten Fehler aufzuführen, aber dieses Video fasst das Gröbste ganz gut zusammen.
Dabei sah diese Generation so vielversprechend aus. Zum ersten Mal eine offene Welt mit 3D-Ansicht, dazu die Inspiration von Pokémon Legends, dessen beste Elemente ins Hauptspiel übernommen werden sollten. Auch wenn der Trailer bereits Schwächen offenbarte – etwa die niedrige FPS-Zahl und die wenigen Grafikdetails – hätte man sich wohl kaum ausmalen können, in welchem schlimmen Zustand sich das Spiel zu diesem Zeitpunkt tatsächlich befand.
Es wirkt fast so, als würde uns Nintendo samt Pokémon Company ein Opferlamm darbieten, nur um für die 10. Generation ein richtig großes Brett nachzuschieben. Schnell mal nebenbei eine neue Generation veröffentlichen, damit man bald die nächste große Ankündigung feiern kann. Aus Marketingsicht sicherlich nachvollziehbar – die 10. Generation mit einem Release-Event der Superlative zu feiern klingt nach einem cleveren Schachzug.
Schließlich muss ja der Veröffentlichungsrhythmus von mindestens einem (oder gleich mehreren) Pokémon-Spielen pro Jahr eingehalten werden.
Verpasste Chancen und bittere Einsichten
Ich hätte maximal erwartet, dass Nintendo bei Remakes eine solche Nummer abzieht – aber doch nicht bei einer neuen Generation, die eigentlich etwas Besonderes sein sollte. Schon die Remakes von Diamant und Perl haben gezeigt, wie wenig Liebe Nintendo bzw. deren Partnerstudios teilweise noch in diese Titel stecken.
Man darf nicht vergessen: Pokémon ist die wertvollste Marke der Welt. Ein solcher Release kratzt nicht nur am Image dieser einst unantastbaren Spielereihe – er wird für viele Fans, die das alles miterlebt haben, auch immer ein schmerzhaftes Kapitel bleiben.
Wird Nintendo den Gegenwind aus der Community spüren? Sicherlich. Ob die japanische Spieleschmiede daraus etwas lernt? Das bleibt abzuwarten. Immerhin – und das muss man Nintendo zugutehalten – erstatten sie ihren Spielern den Kaufpreis für die Editionen, da sich das Spiel in einem miserablen Zustand befindet.
Eine Einsicht, die man als Selbstverständlichkeit betrachten könnte – bei Nintendo jedoch fast schon ein Novum, das nicht ihrem üblichen Anspruch entspricht.
Am Ende zeigt sich einmal mehr: Es sind die langjährigen Fans, die diese Marke am Leben halten – jene Fans, die jedes Spiel kaufen, oft ohne nachzudenken, und sich schwer damit tun einzugestehen, dass Pokémon schon lange nicht mehr das ist, was es einmal war. Und ich mache niemandem einen Vorwurf! Wir alle haben schon blind in Entwicklerstudios vertraut – und ja, es gibt auch Spieler, die trotz aller Bugs Freude an den Spielen haben. Bei Cyberpunk 2077 war es bei mir schließlich auch nicht anders.
Trotzdem: Ich glaube, dass sich Pokémon in einer Abwärtsspirale befindet und dringend eine kreative Neuausrichtung braucht. Zelda hat gezeigt, wie so etwas funktionieren kann – das Franchise wurde nicht nur revolutioniert, sondern auf ein ganz neues Level gehoben.
Und jetzt? Der Release von Pokémon Karmesin und Purpur zählt trotzdem zu den erfolgreichsten der gesamten Seriengeschichte.
Pokémon Scarlet and Violet are the biggest game launch of 2022 in the UK
• Physical Units 2nd Biggest Pokémon launch of all time (with digital probably #1)
• 36% Bigger than Sword / Shield, 70% Bigger than Diamond/ Pearl Remakes, 56% Bigger than Arceushttps://t.co/1TZubAwaXY pic.twitter.com/SCCCRw7CSa— Benji-Sales (@BenjiSales) November 21, 2022
Stillstand statt Fortschritt – Pokémon tritt auf der Stelle
Seit neun Generationen durchleben wir bereits dasselbe Spielprinzip, das nur wenige Änderungen im Grundkonzept bereithält. Auch wenn ich genau diesen Aspekt zuvor noch lobend hervorgehoben habe, muss man trotzdem sagen: Das Spiel entwickelt sich per se nicht wirklich weiter.
Vergleicht man es mit Zelda, war dort das klassische Konzept ebenfalls klar – man startet mit einem Schwert, durchforstet Dungeons, findet Items und nutzt diese zum Vorankommen. Mit Breath of the Wild hat das Franchise jedoch einen völlig neuen Weg eingeschlagen – und ist dabei stärker als je zuvor zurückgekehrt, ohne das ursprüngliche Prinzip komplett aufzugeben.
Genau das fehlt Pokémon in meinen Augen. Zwar gibt es Neuerungen, wie auch in der aktuellen Generation, etwa eine neue Form der Entwicklung – doch das gab es so oder ähnlich auch schon in früheren Editionen.
Seit Jahren wächst die Speedrunner-Szene rasant, und eine der beliebtesten Kategorien basiert auf Pokémon. Dass Nintendo eine modderfeindliche Politik fährt, ist längst bekannt, aber warum übernehmen sie nicht einfach sinnvolle Features aus der Community, wenn diese das Spielerlebnis nachweislich verbessern würden?
Ich bin der Meinung, dass Nintendo dringend einen Speedrun- oder Nuzlocke-Modus im Spiel integrieren sollte am besten mit der Möglichkeit, individuelle Regeln festzulegen. Das würde der Plattform eigenen User-Content bringen. Und wenn Nintendo damit noch Geld verdienen möchte, könnten sie eine geringe Einstellungsgebühr verlangen oder an Verkäufen von User-Mods mitverdienen.
Der Schritt in eine offene Welt war mit der neuen Generation leider mehr gut gemeint als gut gemacht. Für mich wirkt das Ergebnis halbherzig und zwanghaft, als ginge es nur darum, den „Open World“-Stempel fürs Marketing draufzuhauen. Ja, das Spiel macht trotz Fehlern und Lags Spaß, und die kommenden Patches werden sicherlich wieder viele Gemüter besänftigen. Nintendo wird man wie so oft verzeihen. Aber das Spiel könnte so viel besser sein.
Ich möchte einfach an Nintendo appellieren: Nehmt euch mehr Zeit für ein neues Pokémon-Spiel. Nutzt alles Gute der letzten Editionen und übertrefft es! Ich hoffe sehr, dass sich das Unternehmen auf seine Wurzeln besinnt und versteht, was diese Spiele einst so besonders gemacht hat.
Denn so, wie es aktuell läuft – auch wenn die Verkaufszahlen etwas anderes sagen – ist das schlichtweg schrecklich. Und das weiß jeder, der ein wenig Ahnung hat. Schild und Schwert, die Gen-4-Remakes, die neunte Generation – in meinen Augen ist Nintendos Abwärtsspirale offiziell eingeläutet.
Ein Kommentar
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